EU-Botschafterin in Kap Verde: „Kap Verde ist ein geborener Multilateralist“
Carla Grijó befindet sich am Ende ihres Mandats als Botschafterin der Europäischen Union in Kap Verde, das am 31. August 2025 endet. Eine Zeit, die geprägt war von der Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen, der Mobilisierung von über 380 Millionen Euro durch die Global Gateway-Initiative und der Festigung des Archipels als strategischer Partner Brüssels. In diesem Interview mit Expresso das Ilhas zieht die Diplomatin Bilanz über die Zusammenarbeit und reflektiert über die Rolle, die Kap Verde in der Welt spielen kann: ein Land, das, wie sie sagt, als Multilateralist geboren wurde und heute helfen kann, Brücken zu bauen in einem zunehmend fragmentierten internationalen Kontext.
Als Carla Grijó am 1. September 2021 in Kap Verde eintraf, erholte sich die Welt gerade von den Auswirkungen der Pandemie. Das Land öffnete sich langsam wieder: Es gab noch Masken, Beschränkungen bei der Anzahl von Personen in Versammlungen und eine gewisse physische Distanz, aber die strengen Lockdowns der Vormonate waren bereits vorbei.
Sie kam zu einem guten Zeitpunkt, wie sie meint. Es herrschte ein allgemeiner Wille, Projekte wieder in Gang zu bringen, die wegen des öffentlichen Gesundheitsnotstands auf Eis gelegt worden waren.
Mit dem Amtsantritt wurden die zuvor gesetzten Prioritäten wieder aufgenommen: „Nachhaltige Entwicklungsziele, Energiewende, Fortschritt bei sozialen Indikatoren“ und andere.
Der Wille, voranzukommen und die Auswirkungen der Pandemie – insbesondere im Tourismussektor, der etwa 25 Prozent des BIP ausmacht – zu überwinden, war groß und wurde geteilt. Dieser Impuls prägte, wie sie sich erinnert, den Beginn ihres Mandats.
In den folgenden Jahren veränderte sich die Welt weiterhin stark. Die Invasion der Ukraine durch Russland brachte Krieg und Krisen in den Lieferketten, die Multilateralismuskrise verschärfte sich, geopolitische Spannungen und Populismus nahmen zu, die Migrationspolitik wurde restriktiver. Veränderungen, die weltweit alle betroffen haben.
Doch in Kap Verde, so die Botschafterin, „gab es selbst in den Krisenzeiten stets Bemühungen, den Kurs zu halten“. Und das sei gelungen.
„Na hora di bai“, und mit dem Blick zurück, beschreibt sie ihre Erfahrung in Kap Verde als „sehr intensiv“, mit vielen Arbeitsstunden, aber auch „sehr lohnend“. Beeindruckt habe sie die einfache Kommunikation mit Behörden, Zivilgesellschaft und Medien. Ein Grad an Nähe und „eine gewisse Informalität sogar in den Beziehungen“, die die Ergebnisse verstärke.
„Diese Vertrauensbeziehung, die sich aufbaut, ist eines der wichtigsten Merkmale, die ich beruflich mitnehme“, sagt sie.
Persönlich spart sie nicht mit Lob für die sogenannte Morabeza. „Nur wenige Orte auf der Welt empfangen Ankommende wie ein Familienmitglied, mit selbstlosen, echten menschlichen Beziehungen“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich denke, die Kapverdier sind sich vielleicht nicht bewusst, wie sehr Morabeza eine Marke, ein Mehrwert ist. Diese Art des Empfangens ist etwas, das ich in meinem Herzen bewahren werde und das mich sicherlich zurückkehren lässt, wenn auch nur als Touristin.“
Vier Jahre und viele lokale und globale Veränderungen später ist es nun Zeit für eine Bilanz.
Welche Veränderungen haben die letzten Jahre für die Paradigmen der Zusammenarbeit zwischen Kap Verde und der EU gebracht?
Mehr als Veränderungen denke ich, dass es eine Entwicklung war. Unsere Zusammenarbeit mit Kap Verde war bis vor relativ kurzer Zeit stark auf das Budgethilfeprogramm ausgerichtet. Wir verhandelten mit der Regierung die Prioritäten, wobei die Energiewende sowie das Thema soziale Absicherung und die Beseitigung extremer Armut im Mittelpunkt standen. Das waren die beiden Hauptachsen des Programms, neben einigen Maßnahmen im Bereich wirtschaftliche Regierungsführung, Transparenzindikatoren und ähnlichen Aspekten. Mit dem Start der Global Gateway-Initiative kam eine Veränderung in unsere Zusammenarbeit, denn diese Initiative zielt darauf ab, Investitionen in größerem Maßstab zu mobilisieren – was allein mit öffentlichen Haushalten nicht möglich ist. Es gibt jedoch eine Korrelation. Im Grunde versuchen wir, öffentliche Haushalte zu nutzen, um Investitionen von Finanzinstitutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB), aber auch von der Privatwirtschaft zu mobilisieren, um so die notwendigen Investitionen zu skalieren.
Hat Kap Verde die Fähigkeit gezeigt, diese Finanzierungen zu mobilisieren?
Kap Verde ist im Rahmen dieser Initiative ein Paradebeispiel für Erfolg. Obwohl es ein kleines Land mit geringer Bevölkerungszahl ist, konnte es bereits über 380 Millionen Euro sichern.
Es war von 300 Millionen Euro für die Sektoren digital, Energie und Hafeninfrastruktur die Rede.
Dieser Betrag ist inzwischen gestiegen. Der Anstieg ist hauptsächlich auf den Hafeninfrastruktursektor und das Hinzukommen neuer Akteure innerhalb des Team-Europe-Ansatzes zurückzuführen. Zum Beispiel ist die Agence Française de Développement nach 15 Jahren durch diese Initiative wieder in Kap Verde aktiv.
Die finanzielle Unterstützung kommt von der Europäischen Investitionsbank (EIB)?
Sie ist Teil des Team Europe. Ein bedeutender Teil dieser Investitionen besteht aus zinsgünstigen Darlehen der EIB. Was aber gute Kreditkonditionen ermöglicht und das Risiko für die EIB verringert, ist die Unterstützung durch den EU-Haushalt: Es gibt Zuschusskomponenten bei den Staatsdarlehen und Garantien für den Privatsektor, wie etwa für Cabeólica oder CV Telecom.
Wie wurden die unterstützten Sektoren in Kap Verde ausgewählt?
In Absprache mit den Behörden von Kap Verde und basierend auf der Arbeit, die bereits im Rahmen des Budgethilfeprogramms und des regelmäßigen Dialogs in der Budgethilfegruppe geleistet wurde. Diese Gruppe vereint mehrere Partner und ermöglicht es, die Entwicklungsprioritäten und die wirtschaftliche Diversifizierung Kap Verdes zu identifizieren. Im Bereich der erneuerbaren Energien hatten wir z. B. bereits wesentliche Arbeiten geleistet, die es Kap Verde ermöglichten, seinen Masterplan für Energie zu definieren. Alle technischen Komponenten wurden vom Energieministerium definiert, das dann die Zielmarke von 50 Prozent erneuerbarer Energiequellen bis 2030 festlegte. Ich denke, das ist machbar, und inzwischen werden sogar ehrgeizigere Ziele angestrebt. Um diese zu erreichen, sind Investitionen nötig. Eine große Investition, die über Global Gateway umgesetzt wird, ist die Pumped Storage Facility (Wasserkraftspeicheranlage) auf der Insel Santiago. Experten zufolge ist das ein fehlendes Glied, weil es eine stabile Stromversorgung ermöglicht. Solar- und Windenergie sind Quellen mit Produktionsspitzen, daher braucht es ein stabilisierendes Element. Dieses Kraftwerk ist genau das. Damit glaubt man, den notwendigen Sprung zur Energiewende erreichen zu können.
Haben die Prioritäten Ihrer Erfahrung nach den tatsächlichen Bedürfnissen des Landes entsprochen?
Die Energiewende scheint mir eine sehr logische Investition zu sein. Sie zielt darauf ab, die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern, deren Preise sehr volatil sind. Und Kap Verde hat nicht die Verhandlungsmacht, um Preise zu beeinflussen. Je autonomer das Land in Energiefragen ist, desto resilienter wird es. Es gibt außerdem einen Zusammenhang zwischen Energie und Wasser, da fast das gesamte Wasser entsalzt wird – ein Prozess, der sehr energieintensiv ist. Wenn die Energiekosten sinken, hat das direkte Auswirkungen auf die Wasserpreise. Das wiederum kann die wirtschaftliche Tätigkeit ankurbeln, insbesondere in der Landwirtschaft. Ein Dominoeffekt: Das Land gewinnt auch an Ernährungssicherheit. Eine weitere große Investition ist die Verbesserung der Hafeninfrastruktur. Angesichts der Insellage Kap Verdes ist das entscheidend. Und wenn wir die Häfen modernisieren, dann bitte auch mit erneuerbaren Energien und digitalisierten Abläufen. Es ist eine Gelegenheit, nicht nur Betonbauten zu verbessern, sondern auch intelligentere und umweltfreundlichere Systeme einzuführen.
Umfasst das alle Häfen?
Die Regierung von Kap Verde hat eine Liste mit Häfen erstellt. Der Grund, warum sich der Umfang unserer Unterstützung ändert, liegt darin, dass wir ein Rahmenabkommen ausgehandelt haben, das dies erlaubt. So können je nach Projektfortschritt neue Projekte aufgenommen werden. Aktuell umfasst die Liste den Hafen Porto Grande in Mindelo, den Hafen von Palmeira auf Sal sowie den Hafen Porto Novo auf Santo Antão. Wir beginnen, uns mit dem Hafen in Praia zu beschäftigen, aber er ist noch nicht im aktuellen Finanzierungsvolumen enthalten. Wie gesagt: Sobald die Projekte ausgereift sind, mobilisieren wir die Ressourcen. Auch Cabnave, das ich noch nicht erwähnt hatte, ist Teil des Pakets.
Es gibt auch den Digitalbereich.
Das ist ein wichtiger Schwerpunkt. Aufgrund seiner strategischen Lage verlaufen mehrere Unterseekabel für Glasfaser durch Kap Verde, darunter das vom EIB finanzierte EllaLink-Kabel – gewissermaßen ein Vorläufer der Global-Gateway-Initiative. Kap Verde steht zudem auf der Liste der Länder, die von einem zukünftigen Kabel profitieren werden, das Europa mit der atlantischen Küste Afrikas bis nach Südafrika verbinden soll. Dieses Projekt wird transformativ sein und den Internetzugang in all diesen Ländern, auch in Kap Verde, verbessern. Bereits mobilisiert wurde auch eine Unterstützung für CV Telecom – über die private Finanzierungsfazilität – zur Verbesserung der interinsularen Kabelverbindungen. Derzeit konzentrieren wir uns auf digitale Konnektivitätsinfrastruktur und unterstützen auch Maßnahmen zur Verbesserung der Cybersicherheit. Wir haben Ideen für ein Programm zur Ausbildung, Kapazitätsstärkung und Unternehmensförderung im digitalen Sektor, auch wenn es noch nicht definiert ist. Ziel ist es, Arbeitsplätze für Kapverdier und digitale Nomaden zu schaffen. Kap Verde kann in dieser Branche als Dienstleister auftreten, insbesondere im lusophonen Markt.
Welche weiteren Meilensteine haben Sie in Ihrer Amtszeit erreicht?
Ein wichtiges Ergebnis, das mich besonders freut, betrifft die maritime Sicherheit. Als ich vor vier Jahren ankam, wünschten sich alle zuständigen Behörden eine Stärkung dieses Bereichs innerhalb der Sonderpartnerschaft. Es gab bereits Initiativen wie koordinierte maritime Präsenz, mit regelmäßigen Besuchen von Schiffen einiger EU-Mitgliedstaaten. Diese wirken abschreckend auf illegale Aktivitäten auf See. Für ein Land wie Kap Verde ist eine nationale Fähigkeit zur Überwachung und Intervention in den eigenen Gewässern jedoch essenziell. Diese Kapazitäten waren bisher begrenzt. Mit der am 8. Juli beschlossenen Unterstützung über den Europäischen Friedensfonds können wir Kap Verde nun auch bei der Beschaffung militärischer Ausrüstung unterstützen – das war früher nicht möglich. Konkret ist ein Ocean Patrol Vessel vorgesehen, ein zweites "Guardião", das die Interventionskapazität verdoppeln wird. Techniker werden ebenfalls geschult, auch für die Wartung. Wichtig ist nicht nur das Material, sondern auch seine nachhaltige Einsatzfähigkeit.
Was bedeutet das West Africa Sustainable Ocean Program (WASOP) für Kap Verde?
Das WASOP umfasst drei Komponenten mit einem Gesamtwert von 59 Millionen Euro und richtet sich an 13 westafrikanische Küstenstaaten. Die Komponente zur Blauen Wirtschaft wird von Kap Verde aus von der Agence France Expertise geleitet. Der offizielle Start soll während der Ocean Week erfolgen. Nach dem Start wird die Agentur mit jedem Land nationale Prioritäten definieren. Aber auch über WASOP hinaus ist die Blaue Wirtschaft Teil der Global-Gateway-Initiative. Der Ausbau der Hafeninfrastruktur soll wirtschaftliche Aktivitäten rund um die Häfen stärken. So etwa der Hafen Palmeira, der künftig der nationalen Flotte ermöglichen soll, näher am Fischfanggebiet Banco de Nova Holanda anzulanden, statt bis nach São Vicente zu fahren. Mit vorhandener Kühl-Infrastruktur wird die Modernisierung des Hafens direkte wirtschaftliche Auswirkungen haben. Wichtig ist, den Bedarfen aller Sektoren, auch der Privatwirtschaft, zuzuhören.
Gab es ein kleineres Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Ein Projekt mit kleinem Finanzvolumen, das mir aber sehr wichtig ist, ist die Unterstützung von NGOs bei der Prävention sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Es wird von SOS-Kinderdörfer koordiniert und umfasst weitere NGOs und Institutionen wie das ICCA. Ziel ist es, die Netzwerkarbeit dieser Organisationen zu stärken, um wirksamer zu agieren. Die Regierung hat bereits eine Null-Toleranz-Politik beschlossen, aber das Problem ist tief in der Gesellschaft verankert. Dieses Projekt allein wird es nicht lösen. Aber es zeigt, dass die EU bereit ist, lokale Akteure – öffentliche wie private – zu unterstützen. In vielen afrikanischen Ländern wäre ein solch sensibles Thema schwierig zu bearbeiten, besonders wenn ausländische Akteure beteiligt sind. Doch in Kap Verde ist ein offener Dialog möglich.
Welche Rolle kann Kap Verde in der Beziehung zwischen EU und Afrika spielen?
Kap Verde hat historisch eine Vorbildfunktion. Zum 50. Unabhängigkeitsjubiläum lohnt sich der Blick auf die Entscheidungen des Landes: Investitionen in Humankapital, Demokratie, menschliche Entwicklung. Das führte zu politischen, ökonomischen und sozialen Erfolgen. Auch wenn sich die Erfahrungen nicht 1:1 übertragen lassen, kann Kap Verde als Vermittler auftreten. Es ist von Natur aus multilateral ausgerichtet, entstand durch internationale Unterstützung. Diese Position erlaubt dem Land, glaubhaft darüber zu sprechen, wie Multilateralismus funktionieren kann. Kap Verde kann eine moderierende Stimme sein, gerade in Zeiten, in denen Extreme oft lauter sind. In der CEDEAO etwa sehe ich Kap Verde als möglichen Vermittler. Konferenzen wie jene zu Demokratie im April 2024 oder zu Desinformation im September sind Beispiele für solche Rollen. Kap Verde bietet einen neutralen Raum für sensible Gespräche.
Multilateralismus steckt in der Krise.
Das stimmt, aber ich sehe keine Alternative für die Bewältigung globaler Probleme. Ein Beispiel: Ich nahm an der Eröffnung einer Vorkonferenz im Tech Park in Praia teil. Sie bereitet ein Treffen 2026 in Dakar vor, bei dem es um den Einsatz europäischer Satelliten für Frühwarnsysteme bei Naturkatastrophen geht. Solche Systeme retten Leben. Die EU, die Afrikanische Union und viele afrikanische Institutionen arbeiten dabei zusammen. Ein reiches Land könnte sich ein eigenes System leisten, aber regionaler Austausch ist sinnvoller. Multilateralismus funktioniert, wie dieses Beispiel zeigt. Klimawandel und transnationaler Kriminalität kennen keine Grenzen – Zusammenarbeit ist die einzige Lösung.
Wie sehen Sie die Zukunft der Beziehungen zwischen Kap Verde und der EU?
Sehr positiv. Als ich ankam, war Kap Verde wegen der Pandemie und Personalwechsel in den EU-Institutionen aus dem Blick geraten. Heute ist das anders. Ich muss nicht mehr nach Brüssel reisen, um Aufmerksamkeit zu erbitten. Kap Verde wird heute als Beispiel genannt: für stabile Demokratie, gute Entwicklung, Transformation zu einem Land mit mittlerem bis hohem Einkommen. Die EU sieht Kap Verde zunehmend als Brücke zwischen Europa und Afrika. Als Land, das beide Seiten versteht und helfen kann, die Kommunikation zu verbessern. Auch als "Labor" für neue Ansätze, etwa bei erneuerbaren Energien. Es gibt viele Kooperationsfelder, die weiteres finanzielles, politisches und persönliches Engagement erfordern. Aber die Erfolge zeigen: Die Beziehung wird sich natürlich weiter vertiefen.
Quelle: Carla Grijó – Embaixadora da União Europeia em Cabo Verde: “Cabo Verde é um multilateralista nato”